
Das Gebäude
In den Jahren 1906 bis 1908 errichtete die Stadt Lüneburg an der Feldstraße ein mächtiges Schulgebäude nach einem Entwurf des Stadtbaumeisters Richard Kampf (1857-1919). Es war ein kommunaler Repräsentationsbau, der zusammen mit dem benachbarten Gralstift der offizielle Auftakt für die geplante nach Süden gerichtete Stadterweiterung sein sollte.
Der neugotische Entwurf der Fassade zitiert an zahlreichen Stellen Elemente der mittelalterlichen Backsteingotik. Vorbild für den Turm und seine Zierelemente sowie den Ostrisalit an der Gravenhorststraße waren das Ünglinger Tor in Stendal und mittelalterliche Tore in Königsberg/Neumark, Pasewalk, Neubrandenburg und Rostock. Auch im Inneren finden sich historische Stilelemente: Kreuzrippengewölbe, Mädchenköpfe an den Gewölbekonsolen in den Fluren und im Treppenhaus und geschnitzte Türrahmen. Das reicht manchem heutigen Beobachter, um liebevoll oder spöttisch von einer „Harry-Potter-Schule“ zu sprechen.
Dabei plante Richard Kampf in Wahrheit recht modern. Als er von der Verbindung von „Einfachheit mit Zweckmäßigkeit und guter Form“ sprach, dürfte er Ideen der zeitgenössischen Reformarchitektur im Blick gehabt haben. Das Gesamtkonzept der Gebäudeteile, die Dimensionierung der Räume und der Flure waren genau überlegt und weit vom Mittelalter entfernt. Besonders wichtig waren ihm die Belichtung der Klassenzimmer und die Schalldämmung. Die geraden Fensterstürze reichen bis 10 cm unter die Decke, die Breite der Mauerpfeiler zwischen den Fenstern ist auf 71 cm reduziert, die Pfeilerquerschnitte nach innen abgeschrägt. Technisch aufwendig ist die Belichtung der Zeichensäle durch sehr große, nach Norden gerichtete Dachfenster gelöst. Kork und spezielle Dämmmaterialien sind verarbeitet. Das Gebäude ist sehr großzügig angelegt und bot bei der Eröffnung am 9. November 1908 nicht nur der Höheren Töchterschule (im Nordflügel an der Feldstraße), sondern auch acht Klassen einer Mittelschule und einem neu gegründeten Lehrerinnenseminar (im Westflügel an der Schillerstraße) genügend Platz.
Im Lauf der Jahrzehnte wurde der Raum allein für die Wilhelm-Raabe-Schule dann knapp. Die Stadt errichtete um 1970 einen Anbau mit Unterrichts- und Sammlungsräumen für Biologie, Chemie und Physik in den Obergeschossen sowie einem Gymnastikraum und Umkleide- und Duschräumen im Erdgeschoss. 2008 wurde dieser Anbau komplett modernisiert und dabei sehr viel schöner gestaltet. An die Stelle des Gymnastikraums und seiner Nebenräume traten mehrere große Klassenzimmer für die Eingangsklassen. Auch an anderen Stellen im Haus gab es Modernisierungen und Umnutzungen, damit mehr Klassen im Gebäude untergebracht werden konnten. Schließlich wurde der Schulhof neu angelegt und ausgestattet.
Die Zukunft wird neue Ansprüche und neue Wünsche und Pläne mit sich bringen. Wenn man unkonventionell denkt, wird man in unserem alten Haus noch immer ein paar Kapazitäten finden.
Werner Krone
